Kritische Betrachtungen zu Gesellschaft und Politik

“Pop, realismos y política: Brasil – Argentina 1960” in der Fundación Proa

Von Philip Norten

Mit “Pop, realismos y política” widmet die Fundación Proa nach “Imán: Nueva York” und “SAP: Sistemas Acciones y Procesos” erneut eine Ausstellung den 1960er Jahren. Auf diese Forschungsarbeit aufbauend soll die von Paulo Herkenhoff und Adriana Rosenberg konzipierte Ausstellung die Kunst in Brasilien und Argentinien zu dieser Zeit untersuchen. Dazu haben die Kuratoren Herkenhoff und Rodrigo Alonso in vier Sälen Werke von 58 Künstlern versammelt.

Die wichtigsten Themen und Ideen der Ausstellung werden schon im ersten Raum deutlich: León Ferrari (*1920) kombiniert in “La civilización occidental y cristiana” von 1965 das Modell eines US-amerikanischen Kampfjets mit einem Kruzifix. Dabei wird deutlich, wie die Künstler dieser Zeit Symbole und Zeichen der Alltagswelt übernehmen, um gesellschaftliche und politische Fragen zu diskutieren, in diesem Fall die Macht der USA und der katholischen Kirche in Lateinamerika.

Bildkultur und Politik sind auch zentrale Themen im Werk von Roberto Jacoby, dessen Installation “Un guerrillero no muere para que se lo cuelge en la pared” im selben Raum zu sehen ist. Der Titel der Arbeit weist schon auf die Probleme des Kurators hin, diesen Druck Jacobys nicht an die Wand zu hängen, eigentliches Anliegen des Künstlers ist es jedoch, durch die provokante These des Titels den Bilderkult um Che Guevara (der später noch in der Ausstellung zu sehen sein wird) kritisch zu hinterfragen.

Im großen zweiten Saal der Fundacián wird anhand von zahlreichen Gemälden die Weiterentwicklung dieses Mediums dargestellt. Dominierte in den 1950er Jahren die konkrete Kunst mit einer aseptischen Form von abstrakter Malerei, lassen sich nun diametral entgegengesetzte Tendenzen beobachten: Die gezeigten Gemälde sind wieder gegenständlich, häufig werden aktuelle Themen dargestellt (bei einigen Werken durch Collagetechnik). Auch die Ästhetik der Gemälde ändert sich radikal: durch einen oft extrem gestischen Duktus wirken viele Werke – wie beispielsweise “Submundo” von Rómulo Macció (*1931) – aggressiv. Auch durch die Farb- und Materialwahl – viele Künstler verwenden grelle Farben, andere arbeiten mit Stoffen – wird das gewohnte ästhetische Empfinden der Besucher gestört.

Der anschließende Saal ist Werken gewidmet, die in einem stark politisierten Kontext zu verstehen sind. Die 60er Jahre waren sowohl in Argentinien als auch in Brasilien von politischen Unruhen und Repressalien der jeweiligen Militärdiktaturen geprägt, die auch die Entstehungsbedingungen von Kunst direkt beeinflussten. Die schwarze Wandfarbe des Raumes verstärkt dabei den düsteren Unterton der ausgestellten Arbeiten. Während dabei die Fotografien des Brasilianers Evandro Teixeira (*1945) die Studentenunruhen von 1968 dokumentieren, weist Cildo Meireles (*1948) mit “Zero Dollar” spielerisch, aber zugleich ernst auf den ökonomischen Kontext der politischen Probleme hin. In seinem Gemälde “Lección de anatomía nº 2” porträtiert Carlos Alonso (*1929) den toten Che Guevara im Stile Rembrandts, womit er auf die Bedeutung des Guerrilleros für die lateinamerikanischen Künstler und auf die große Enttäuschung, die mit seinem Tod verbunden war, hinweist.

Die große Vielfalt an künstlerischen Medien – Fotografie, Malerei, Installation -, die Künstler zu dieser Zeit verwendeten, setzt sich im letzten Saal der Ausstellung fort, in dem u.a. zwei Happenings von Marta Minujín (*1941) rekonstruiert werden. In “Cabalgata” von 1964, das live vom Fernsehen übertragen wurde, inszenierte sie Pferde, die durch die Eimer auf ihren Rücken Matratzen bemalten, Athleten, die Luftballons zum Platzen brachten, und eine Rockband in einer surrealistischen Performance. Ziel war es dabei – wie Minujín bei einem Gespräch in der Ausstellung erläuterte -, durch die Gleichzeitigkeit der Handlungen den Besucher mit dem neuen Charakter von Kunst zu konfrontieren. Die Idee vieler Künstler war es, durch den performativen Ansatz ihrer Werke und durch neue Verbreitungsmedien wie das Fernsehen das Rezeptionsverhalten zu verändern: statt stumm Gemälde zu betrachten, sollte sich der Rezipient aktiv an der Diskussion über Kunst beteiligen, die zudem nicht mehr an Museen oder Galerien gebunden war.

Die Rekonstruktion dieses Happenings von Minujin anhand von Fotografien und Dokumenten macht zugleich die Problematik der Ausstellung deutlich: die Kunst dieser Ära war sehr zeitbezogen und Themen sowie Ästhetik dieser Epoche erschließen sich stark aus dem damaligen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Kontext. Daher ist es nur konsequent, dass diese Ausstellung von einem umfangreichen Rahmenprogramm und einem großen Katalog begleitet wird, die beide dabei helfen können, uns die Kunst dieser Zeit wieder näher zu bringen.

  • “Pop, realismos y política: 58 artistas de Brasil y la Argentina” (Pop, Realismus und Politik: 58 Künstler aus Brasilien und Argentinien). Kuratoren: Paulo Herkenhoff und Rodrigo Alonso.
  • Fundación Proa, Pedro de Mendoza 1929, La Boca, Buenos Aires.
  • Di-So 11-19 Uhr, montags geschlossen.
  • Eintritt 12 Pesos, Rentner 8 und Studenten 4 Pesos; dienstags für Studenten gratis.
  • 14.7.-Ende September.

Foto:
León Ferrari, “La civilización occidental y cristiana”, 1965. Gips, Holz und Öl. 200 x 120 x 60 cm. Sammlung Alicia und León Ferrari, Buenos Aires.

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