Wolle, Wachs und andere Wunderlichkeiten

Verschiedene Ausstellungen wurden Anfang Juni im Museo de Arte Moderno von Buenos Aires eröffnet

Von Jana Münkel

Bereits beim Bezahlen der Eintrittskarte im Foyer des Museums, das alle “Mamba” nennen und das mit vollem Namen “Museo de Arte Moderno de Buenos Aires” heißt, vernimmt man unregelmäßige Glockenspieltöne aus dem oberen Stockwerk. Neugierige steigen direkt hinauf, um der Klangquelle im “Raum für spezielle Projekte” auf den Grund zu gehen. In dem abgedunkelten Saal wird der Besucher selbst Teil der interessanten Installation “Círculos en movimiento”. Schöpferin ist die Argentinierin Florencia Rodríguez Giles, die ihre Kunst selbst irgendwo zwischen Theater, Philosophie, Tanz, Mythologie und Musik einordnet.

Je ein Besucher ist der “Klangerzeuger”, er wird angewiesen, die Schuhe auszuziehen, einen Stoffumhang umzulegen und, in kleine Kästchen tretend, den Weg zu einem Podest anzutreten. Dort angelangt, wartet eine komplexe Konstruktion, in deren Mitte ein Stuhl steht. Zwei lange Stäbe sind mit Xylophonschlägeln verbunden. Durch eine Drehbewegung seitens des Besuchers werden diese über Fahrradketten auf die Instrumente geschlagen, von denen eines jeweils rechts und links angebracht ist. So entstehen, je nach Schnelligkeit des Drehens, sehr laute Töne verschiedener Höhe, die sich knallend ins Trommelfell bohren. Es ist spannend zu beobachten, wie unterschiedlich die musikmachenden Besucher mit der Situation umgehen. Der eine genießt es sichtlich, so unverhofft im Mittelpunkt zu stehen, der anderen ist es eher unangenehm, von den anderen Besuchern beäugt zu werden. Bedingt durch diese Spannung zwischen produzierenden und zuschauenden Besuchern entsteht eine eigenartige, schwer beschreibbare Atmosphäre im Raum.


Reichlich verwundert betritt so Mancher den Ausstellungsraum im Erdgeschoss. Die bunten runden Kreise der Subte-Schilder, die einem Jeden durch die tägliche U-Bahn-Fahrt so vertraut sind, stechen zuerst ins Auge. “Diseñá tu mundo”, “Design’ dir deine Welt”, nennt sich diese Ausstellung, welche die Arbeit von “Diseño Shakespear”, einer vor 50 Jahren gegründeten Designagentur, zeigt. Man kommt sich ein bisschen so vor wie beim Spiel der beliebten Handy-App “Logo Quiz”, bei der ein Firmenlogo erscheint und man den richtigen Namen finden muss, um Punkte zu sammeln: Die Wände des Saales sind übersät mit Schildern, Bank- und Firmenlogos – auch die berühmten gelb-blauen Farben des Kultfußballclubs La Boca kann man entdecken. Der urbane Raum ist voll von solchen Zeichen, die uns auf etwas hinweisen, jede Stadt hat ihren eigenen “Code”. Wenn diese Schilder nun plötzlich im Museum ausgestellt werden, mutet das zunächst seltsam an, in etwa so, wie wenn Streetart von der Straße an weiße Museumswände verfrachtet wird. Doch dieser andere Kontext bietet eine spannende Perspektive auf die Frage, welchen Einfluss Designtes auf unsere Wahrnehmung der Öffentlichkeit, des “public space”, hat.

Ein Leitspruch von Diseño Shakespear, das von dem mittlerweile über 70-jährigen Roberto Shakespear gegründet und heute von ihm und seinem Sohn Juan geleitet wird, lautet: “In der Theorie decken sich Theorie und Praxis. In der Praxis nicht.” Und genau deshalb wird alles bis ins letzte Detail durchdesignt, sogar der U-Bahn-Plan.

“Grupo Mondongo” ist ein Kollektiv, das für seine Arbeiten mit unkonventionellen Materialien bekannt ist. Kekse oder Kaugummis kamen bei ihnen schon zum Einsatz, im Mamba sind es vornehmlich Wolle, Wachs und Knete. Nach fünf Jahren stellt die Gruppe erstmals wieder aus und bekam dafür sogar gleich zwei neue Säle des Museums zur Verfügung gestellt. Die Werke sind wirklich verblüffend und lohnen einen Besuch. Sie zeichnen sich vor allem durch Größe, Genauigkeit und Ideenreichtum aus. Im ersten Saal hängen überlebensgroße Porträts aus Wolle und Wachs. Das Gesicht der etwa achtjährigen “Francisca” schaut aus großen, braunen Augen nachdenklich auf die Besucher herab. Von weitem sieht das Porträt täuschend echt aus, geht man näher heran, kann man an den einzelnen Wollfäden die unvorstellbare Arbeit erkennen, die hinter diesem und den weiteren Porträts gesteckt haben muss. Die Besucher scheinen mit den riesigen Gesichtern in einen Dialog treten zu können, viele verweilen lange, schauen und staunen.

Im dritten Stock sind die Wände rundherum mit insgesamt 15 Werken behängt, jedes davon ist viereinhalb Meter lang und zwei Meter hoch. Alle Kunstwerke bilden gemeinsam eine fortlaufende, dichte Unterholzlandschaft, die sich langsam lichtet und schließlich den Blick freigibt auf ein Seeufer. Die Bilder bestehen aus kneteartigem Material und sind mit einer unvorstellbaren Präzision modelliert. Man kann sich in die Mitte setzen und die Arbeit auf sich wirken lassen. Das Lichtspiel und die Genauigkeit, mit der Äste, kleine Tümpel und die Grün- und Braunfarben getroffen sind, lassen fast vergessen, dass man sich im Museum und nicht in einem dichten Wald befindet. Unvorstellbar, wie groß der Arbeitsaufwand für dieses Werk gewesen sein muss.

Knete in einem ganz anderen Sinne gibt es ebenfalls im ersten Ausstellungsraum des Künstlerkollektivs zu betrachten: Ein Gerippe aus mehr als 100.000 Centavos wird von LED-Lampen erleuchtet und trägt den Namen “Argentina”. Die Anspielung auf die ökonomische Situation des Landes spricht dabei für sich.

Wenn man nach diesen drei Ausstellungen noch aufnahmefähig ist, lohnt es sich, einen Blick – oder besser: ein Ohr – ins zweite Untergeschoss des Museums zu werfen. Dort können Klanginstallationen des erfolgreichen italienischen Künstlers Piero Mottola erhört werden.

Einige halb leere Säle im dritten Stock zeigen, dass sich das Mamba derzeit im (Wieder-)Aufbau befindet. Man darf gespannt sein, was noch so kommt. Und vor allem, aus welchem Material es besteht.

Fotos von oben nach unten:

Mythisch-theatralisch-musikalische Installation.

Ich versteh’ nur Bahnhof: Subte im Museum?

Dialog zwischen Kind und Bild.

Knetiges Unterholz.
(Fotos: Jana Münkel)

Infos:

  • Museo de Arte Moderno de Buenos Aires (MAMba), San Juan 350, Buenos Aires.
  • Di-Fr 11-19, Sa, So und feiertags 11-20 Uhr. Montags geschlossen, außer an Feiertagen.
  • Eintritt 5 Pesos, dienstags gratis.
  • Führungen: Sa, So und feiertags 16 und 18 Uhr. Infos/Reservierungen für Gruppen: mamba.visitasguiadas@gmail.com.
  • 2.6.-31.7.

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