Für Aufnahme von Flüchtlingen

Daniel Barenboim diskutierte mit Felipe González im Teatro Colón den Nahostkonflikt und andere brennende Themen der Weltpolitik

Von Marcus Christoph

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Der Dirigent Daniel Barenboim hat die lateinamerikanischen Staaten und vor allem sein Heimatland Argentinien aufgefordert, Flüchtlinge aus dem Syrien-Konflikt aufzunehmen. Argentinien sei immer gastfreundlich gewesen, er selbst habe es als Einwanderersohn erlebt, sagte Barenboim am Sonntagabend bei einem Gespräch mit dem ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Felipe González vor rund 800 Zuhörern im Theater Colón in Buenos Aires. Der Gedankenaustausch fand im Rahmen eines zweiwöchigen Festivals mit Konzerten des von Barenboim geleiteten West-Eastern Divan Orchestras und der argentinischen Pianistin Martha Argerich statt.

Die Flüchtlingskrise sei ein globales Problem, das Deutschland nicht allein lösen könne, so Barenboim, der die Aufnahmepolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel als mutig lobte. Der in Buenos Aires geborene Stardirigent argumentierte, dass Globalisierung mehr sei, als “Spaghettis in Tokio zu essen, sondern dass alle Konflikte global sind und jeden betreffen”.

Entsprechend müsste auch Argentinien mehr Verantwortung übernehmen: Sein Geburtsland sei ohnehin als sicherer Hafen für Flüchtlinge aus anderen Kulturen prädestiniert: “Es ist das einzige Land, in dem es selbstverständlich erscheint, dass man mehrfache Identitäten haben kann”, so Barenboim. Hier könne man Araber, Jude, Pole oder Russe sein, und deswegen sei man nicht weniger Argentinier. Dies erkläre auch die enge Beziehung zu Argentinien des von Barenboim geleiteten West-Eastern Divan Orchestras, in dem Israelis, Palästinenser, Iraner und Türken zusammenspielen.

Die starken islamischen, christlichen und jüdischen Gemeinschaften in Argentinien, Brasilien und Chile sollten mit Unterstützung der Regierungen ihrer Staaten die Aufnahme von Flüchtlingen fördern – auch wenn man dabei das Risiko der Einschleusung vereinzelter Terroristen nicht vermeiden könne, sagte der Dirigent.

Für Argentinien hätte eine größeres Engagement in der Flüchtlingspolitik auch den Vorteil, dass seine weltpolitische Bedeutung zunehme. Gegenwärtig gibt es Pläne der Regierung von Präsident Mauricio Macri, 3000 Flüchtlinge aufzunehmen.

Dass Syrien alle angehe, betonte auch González: “Es gibt heute mehr als 6 Millionen Syrer auf der Flucht. Das ist ein unhaltbarer Zustand und geht die gesamte internationale Gemeinschaft an.” Der Elder Statesman sah eine große Verantwortung für die jetzige Krise in Syrien und im Irak bei der Politik des Westens. Besonders kritisierte er die von den USA angeführte Militärinvasion in den Irak im Jahr 2003. González verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die militärische Führung des sogenannten “Islamischen Staates” sich zu einem Großteil aus ehemaligen Elitesoldaten Saddam Husseins zusammensetze. “Man verursacht Schäden und übernimmt danach keine Verantwortung”, monierte der einstige spanische Regierungschef. “Man kann einen Krieg gewinnen, aber den Frieden verlieren.”

Was Israel und die Palästinenser betrifft, kritisierte Barenboim, dass von Israel derzeit keine Initiativen ausgingen, um zu einer dauerhaften Friedenslösung zu kommen. Dabei wären die Rahmenbedingungen eigentlich günstig, da Israel momentan in der arabischen Nachbarschaft keinen wirklich gefährlichen Gegner habe. Der Dirigent beklagte, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern von großer Ungleichheit gekennzeichnet sei. Er kritisierte rechte und religiös-orthodoxe Strömungen in Israel, die dem Friedensprozess entgegenstünden.

Barenboim hat neben der argentinischen, der spanischen und der israelischen auch die palästinensische Staatsbürgerschaft inne. Um ein Beispiel für friedliches Zusammenleben im Nahen Osten zu setzen, gründete er 1999 mit dem aus Palästina stammenden Literaturwissenschaftler Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra. In Deutschland ist Barenboim vor allem als Generalmusikdirektor der Staatskapelle Berlin bekannt.

Foto:
Felipe González (l.) und Daniel Barenboim (r.) mit Moderator Hugo Sigman.
(Privat)

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